Im vergangenen Monat ist bekannt geworden, dass die Stadt Erlangen erwägt, die für ihre Schulen 2021 angeschafften 766 mobilen Luftfilter stillzulegen oder an Interessent:innen kostenlos abzugeben, weil sie angeblich in den Bildungseinrichtungen nicht mehr benötigt würden. Über entsprechende Vorschläge für die „weitere Verwendung der Luftreinigungsgeräte aus den Erlanger Schulen“ soll laut Tagesordnung deshalb nun der Bildungsausschuss des Stadtrats in seiner Sitzung am Donnerstag, den 10. Juli ab 16 Uhr beraten (https://ratsinfo.erlangen.de/si0057.asp?__ksinr=2115417).
766 Qualitätsluftfilter – 2021 für über drei Millionen angeschafft, jetzt „störend“?
„Im Herbst soll es in jedem Klassenzimmer und den Kitas mobile Lüfter geben“, kündigte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder 2021 recht vollmundig auf Twitter an (https://x.com/Markus_Soeder/status/1409850670774206468). Erlangen gehörte damals, im zweiten Jahr der Pandemie, zu den bayerischen Städten, die Söders Devise ernst nahmen und eine von der Landesregierung offerierte Förderung für den Ankauf von Luftfiltern in Schulen beantragten. Mehr als drei Millionen Euro investierte die fränkische Universitätsstadt so in die Gesundheit ihrer Schüler:innen und Lehrkräften, wobei rund die Hälfte der Summe vom Freistaat bezahlt wurde.
Nachdem bereits im Frühjahr 2021 die ersten 107 Luftfilter in Erlanger Schulen in Betrieb genommen wurden, legte der Stadtrat in einem Beschluss vom 22. Juli 2021 noch einmal großzügiger nach und schaffte nun für alle 452 Klassenzimmer der Jahrgangsstufen 1 bis 6 sowie weitere von den Schulen priorisierte Räume Luftreiniger an (https://ratsinfo.erlangen.de/getfile.asp?id=18210458&type=do). Gekauft wurden dabei nicht wie andernorts zu kleine, laute Billiglüfter, sondern ausschließlich leistungsfähige, leise Qualitätsgeräte: 107 Trox TAP-SPC/L und 659 Trotec TAC M II.
Doch wie Peter Werner vom Erlanger Schulverwaltungsamt uns vor wenigen Tagen auf Anfrage nun erklärte, habe in diesem Schuljahr eine Abfrage bei Schulleitungen ergeben, dass die meisten dieser kühlschrankgroßen mobilen Luftfilter nicht mehr in Betrieb seien. Zumeist würden sie sogar als störend empfunden. Auch um Wartungskosten einzusparen, die sich laut Werner auf einen niedrigen sechsstelligen Betrag jährlich belaufen, strebe die Stadt Erlangen nun an, die vor vier Jahren teuer erworbenen Luftreiniger endgültig stillzulegen und ggf. an geeignete Interessent:innen abzugeben. Man wünsche sich nach Möglichkeit eine sinnvolle Weiterverwertung, erklärte uns Peter Werner, weshalb die Stadt seit ein paar Wochen in Kontakt mit der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Lufthygiene (DAGL) stehe.
Luftfilter werden in allen Erlanger Schulen ohne moderne Raumlufttechnik weiterhin benötigt
So ehrenwert die Bemühungen um eine Weitergabe der Trotec- und Trox-Geräte in Kooperation mit der DAGL sowie der Initiative „Bildung Aber Sicher“ sein mögen (https://dagl.de/aufruf-zur-rettung-und-sinnvollen-weiterverwendung-von-luftfilter/; https://bildungabersicher.net/global/2025-05-29-aufruf-zur-rettung-und-sinnvollen-weiterverwendung-von-luftfilter/), halten wir den in Erlangen eingeschlagenen Weg der Stilllegung der Luftfilter dennoch für falsch. Denn die mobilen Luftreiniger werden ja eigentlich weiterhin in den meisten Erlanger Schulen, die auch 2025 größtenteils immer noch nicht über moderne raumlufttechnische Anlagen verfügen, benötigt – warum werden sie dann abgeräumt?
Die Initiative #ProtectTheKids fordert deshalb Oberbürgermeister Florian Janik und den Stadtrat von Erlangen auf, die Pläne der Stadtverwaltung zur endgültigen Stilllegung oder Abgabe der Schul-Luftfilter abzulehnen. Die Luftfilter sollten weiterhin in allen Erlanger Schulen ohne geeignete Raumluftechnik betriebsbereit gehalten werden und dort insbesondere in der kalten Jahreszeit, in der Deutschland regelmäßig von Virenwellen heimgesucht wird, zum Einsatz kommen. Auf diese Weise kann der Krankenstand an den Erlanger Bildungsstätten gesenkt und die Gesundheit der Schulfamilien gefördert werden.
Isabella Eckerle twittert am 16. Juni: „Wir sollten viel mehr über Prävention sprechen!“
Wie schon in den letzten fünf Jahren wird auch in diesem Herbst von Expert:innen wieder eine Corona-Welle erwartet. Aktuell verbreiten sich vor allem zwei neue Omikron-Varianten, die unter dem Namen „Nimbus“ und „Stratus“ bekannt geworden sind, vermehrt in Asien (https://www.rtl.de/news/nimbus-und-stratus-oder-xfg-who-warnt-vor-neuen-corona-varianten-id4485761.html). Sie könnten bald auch in Europa für einen Anstieg der Neuinfektionen sorgen. Prof. Dr. Isabella Eckerle erneuerte deshalb kürzlich ihren schon mehrfach geäußerten Rat, vorbereitend nun, als Lehre aus der Pandemie, endlich wieder mehr für die Infektionsprävention zu tun.
„Akute Atemwegsinfekte kosten die Volkswirtschaft sehr viel Geld durch Arbeitsausfall und Komplikation. Wir sollten viel mehr über Prävention sprechen und wie sehr das der Wirtschaft, dem Gesundheitswesen und dem Individuum nützen würde!“, mahnte die bekannte Genfer Virologin am 16. Juni auf X (https://x.com/EckerleIsabella/status/1934537490435846316)
Corona-Wellen einzudämmen, erscheint so auch 2025, trotz der vor allem dank der Impfungen gesunkenen Zahl an schweren Erkrankungen oder Todesfällen, ein Public-Health-Gebot. Denn SARS-CoV-2-Infektionen sorgen weiterhin jährlich in Deutschland für mehrere hunderttausend neue Erkrankungen am Post-Covid-Syndrom, dessen schwerste Form die bislang immer noch unbehandelbare Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist. So stieg die Zahl der ME/CFS-Erkrankten, von denen viele arbeitsunfähig und nicht wenige sogar bettlägerig sind, pandemiebedingt inzwischen auf über 650.000, wobei auch Zehntausende Kinder und Jugendliche betroffen sind (Studie der ME/CFS Research Foundation: https://mecfs-research.org/wp-content/uploads/2025/05/The-rising-cost-of-Long-COVID-and-MECFS-in-Germany.pdf; Vorstellung der Studie auf der ME/CFS-Konferenz in Berlin am 13.5.2025: https://www.youtube.com/watch?v=6ETWT640-60; "Spiegel"-Bericht über die Studie: https://archive.ph/JgodA).
Fachleute raten zur Nutzung von Luftfiltern als Teil eines Clean-Air-Gesamtkonzepts
Sich für eine bessere Innenraumluftqualität in Schulen durch Raumlufttechnik oder Luftreiniger einzusetzen, ist aber nicht allein als Präventionsmaßnahme für die immer noch regelmäßig wiederkehrenden Corona-Infektionswellen ratsam. Vielmehr wurde die Wirksamkeit von mobilen Luftfiltern auch bei der Eindämmung von anderen aersolübertragenen Krankheitserregern wie etwa Influenza-, RSV- oder Erkältungsviren in wissenschaftlichen Studien klar belegt. Auch Umweltgifte, Feinstaub, Pollen oder Allergene vermögen Luftreiniger effektiv aus Innenräumen zu filtern. (Vgl. hierzu die umfangreiche Studienzusammenstellung von Prof. Dr. Hartmut Herrmann vom Tropos-Institut Leipzig: https://x.com/H_Herrmann24/status/1581374392302387200; eine Auswahl an neueren Studien findet sich auch auf der Webseite der Initiative Gesundes Österreich: https://www.igoe.at/saubere-luft-und-wissenschaft/).
Deshalb haben führende Aerosolforscher:innen in einem Positionspapier der Deutschen Forschungsgemeinschaft bereits 2021 den Einsatz von Luftfiltern in Bildungseinrichtungen empfohlen (https://www.dfg.de/resource/blob/175380/ 2d476eae67fc5f57f4063b022f332914/positionspapier-aerosole-data.pdf). Auch eine belgisch-niederländische Vergleichsuntersuchung untermauerte die Befunde über die Wirksamkeit von Luftfiltern als Public-Health-Maßnahme zur Eindämmung von Virenwellen in Schulen (https://www.brusselstimes.com/health/243591/air-purifiers-in-classrooms-greatly-reduces-risk-of-covid-19-infections-study-confirms).
Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass eine Verbesserung der Innenraumluftqualität, die auch mit Luftfiltern erzielt werden kann, generell zur Erhöhung der Lernfähigkeit von Schüler:innen beiträgt (https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.est.3c10372; https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4296077). Wie eine Studie aus England berechnet hat, überwiegt der Nutzen von Luftreinigern dabei bei weitem die verhältnismäßig geringen Kosten, die für den Betrieb aufgewendet werden müssen (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2950362024000316?via%3Dihub).
Aufgrund derartiger Befunde überrascht es nicht, dass international angesehene Forscher:innen 2024 im Science Magazin gemeinsam gefordert haben, als Lehre aus der Pandemie verstärkte Anstrengungen für saubere Luft in öffentlichen Innenräumen zu unternehmen. Hierbei bleibe der Einsatz von Luftfiltern ein sinnvoller Baustein in einem durchdachten Clean-Air-Gesamtkonzept, betonen die Expert:innen (https://www.science.org/doi/10.1126/science.adl0677; https://pure.tue.nl/ws/portalfiles/portal/323915221/science.adl0677.pdf).
Zum gleichen Ergebnis kam vor zwei Wochen auch eine Clean-Air-Expert:innen-Tagung zur Frage der Innenraumluftqualität in Schulen, die vom Geneva Health Forum in Zusammenarbeit mit der WHO im französischen Senat in Paris organisiert worden war (Programm: https://qai-conference.genevahealthforum.com; Aufzeichnung: https://www.youtube.com/watch?v=4dVkFGFpssI&t=15s; Bericht: https://www.lagazettedescommunes.com/992253/etat-et-collectivites-appeles-a-sallier-pour-ameliorer-la-qualite-de-lair-dans-les-ecoles/).
Statt Luftfilter aus Schulen zu entfernen, aus der Pandemie lernen: #CleanAir4Kids
Angesichts dieser Sachlage fordern wir den Bildungsausschuss des Stadtrates von Erlangen auf, am 10. Juli die Pläne für eine Abräumung der Luftfilter aus den Schulen abzulehnen. Stattdessen sollte die Stadt Erlangen als Lehre aus der Pandemie nun baldmöglichst ein sinnvolles Gesamtkonzept für die Verbesserung der Luftqualität in öffentlichen Innenräumen, insbesondere auch in den Schulen und Kitas, ausarbeiten.
Nötig sind hier künftig Investitionen in moderne raumlufttechnische Anlagen, mit denen zugleich auch Energie gespart werden kann. Überall, wo moderne Raumlufttechnik noch nicht zum Einsatz kommt, sollten mobile Luftfilter weiterbetrieben werden. Wir verweisen hier auch auf die beispielhafte Schweizer Pilotstudie der Schulgemeinde Adliswil (https://protect-the-kids.ch/studie-verbesserung-der-luftqualitaet-in-klassenzimmern).
„Saubere Luft für helle Köpfe“: eine österreichische Initiative macht vor, wie Clean-Air-Aufklärung an Schulen geht
Wir fordern außerdem Oberbürgermeister Janik und den Erlanger Stadtrat auf, eine Aufklärungskampagne zum Thema Innenraumluftqualität an den Schulen zu starten. Es ist bedauerlich, dass selbst fünf Jahre nach Pandemieausbruch den Schulleitungen in Erlangen offenbar immer noch nicht klar ist, dass Raumluftreiniger einen wichtigen Beitrag für die Gesundheit an Schulen durch die Verbesserung der Innenraumluftqualität leisten können.
Leicht verständliches Informationsmaterial zu dem Thema, das die Stadt Erlangen nutzen könnte, stellt beispielsweise die Initiative Gesundes Österreich (IGÖ) auf ihrer Webseite kostenlos zur Verfügung.
Darunter ist auch ein IGÖ-Schulplakat, auf dem wesentliche Informationen unter der Überschrift „Saubere Luft für helle Köpfe – Wege zu guter Raumluft in unseren Schulen“ anschaulich zusammengestellt sind:
https://www.igoe.at/wp-content/uploads/IGOE_Plakat_Version_D_CH.pdf
(Link zum Download; siehe dazu auch die Illustration in der Textmitte)
Auch das Kultusministerium ist bei Clean-Air-Aufklärung und Luftfilter-Betriebskosten gefragt
Nach unserer Kenntnis ist die Stadt Erlangen leider kein Einzelfall: Vielerorts werden 2021/22 für viele Millionen Euro an Schulen angeschaffte mobile Luftfilter kaum noch genutzt oder sind gar in Abstellräume gewandert. Deshalb fordern wir das bayerische Kultusministerium wie auch die Bildungsminister:innen der anderen Bundesländer dazu auf, als Lehre aus der Pandemie nun eine Aufklärungskampagne zur Verbesserung der Innenraumluft an den deutschen Bildungseinrichtungen in der oben am Beispiel Erlangen skizzierten Weise zu starten.
Außerdem ist es nötig, dass die kommunalen Schulträger eine Unterstützung der Landesregierungen für die Betriebskosten von häufig mit Länder-Förderung angeschafften mobilen Luftfiltern erhalten. Denn die laufenden Kosten für Clean-Air-Gesundheitsprävention an Schulen können nicht allein auf die kommunalen Schulträger abgewälzt werden, zumal es ja die Länder sind, die rein finanziell betrachtet von weniger Krankheitsausfällen ihrer Lehrkräfte profitieren. Während sich für die Kultusministerien eine Investition in Innenraumluftqualität an den Schulen immer rechnet, bleiben an den kommunalen Schulträgern hier nur die Kosten hängen, sofern sie nicht selbst auch über Lehrpersonal für städtische Schulen verfügen, was aber z.B. in Erlangen nur bei einem Gymnasium und zwei Wirtschafts- und Berufsschulen der Fall ist.
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