Am 14. Oktober erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel unter der Überschrift „Viele Luftfilter-Studien von Herstellern gesponsert“, verfasst von Markus Grill, Leonard Scharfenberg und Berit Uhlmann: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/luftfilter-schulen-christian-kaehler-hersteller-bundeswehr-trotec-1.5438397 Darin wurde der Nutzen von mobilen Raumluftreinigern in Frage gestellt und dem sich für Luftfilter einsetzenden Aerosolexperten Prof. Dr. Christian Kähler gar eine finanzielle Nähe zu Geräteherstellern unterstellt.
Die Initiative #ProtectTheKids hatte in einer Pressemitteilung am 21.10. bereits darauf hingewiesen, dass der SZ-Text sowohl über Prof. Kähler als auch über Luftfilter unzutreffende Aussagen enthält, die einer Richtigstellung bedürfen: https://luftfilterjetzt.de/presse/2021/10/21.html
Auch Patrick Frei kritisierte die „Süddeutsche“ im TV-Sender Tele Zentralschweiz für ihren „tenden¬ziösen, fehlerhaften Artikel“. In einer neuen Folge seiner Serie „Corona Facts mit Frei“ legte er ausführlich dar, wie Grill, Scharfenberg und Uhlmann in dem Artikel gezielt versuchen, Prof. Kähler zu diskreditieren: https://www.youtube.com/watch?v=m1WJJFrg3lY
SZ-Mitautor Markus Grill legte aber trotzdem noch einmal nach. Am 25. Oktober sendete der Deutsch¬landfunk Kultur ein „politisches Feuilleton“ von Grill unter dem Titel „Blinder Aktionismus: Die Last mit den Luftfiltern im Klassenzimmer“:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/blinder-aktionismus-die-last-mit-den-luftfiltern-im.1005.de.html?dram:article_id=504557
Darin wiederholt Grill die Behauptungen des SZ-Artikels und spitzt sie zum Teil sogar noch weiter zu. Für uns ist das nun Grund, dieses „politische Feuilleton“ einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Nachfolgend zitieren wir kurze Passagen daraus, um anschließend dazu Stellung zu beziehen.
Mangelt‘s bei Luftfiltern an Evidenz?
„Denn es gibt bis heute keine Studie, die belegt, dass Schülerinnen und Schüler sich weniger häufig mit dem Coronavirus infizieren, wenn so ein Luftfiltergerät im Klassenzimmer steht.“
Markus Grills Aussage ist unzutreffend, denn es gibt Vergleichsuntersuchungen des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zu Grundschulen in Georgia, die nahelegen, dass Luftfilter zur Senkung der Zahl von Infektionen in relevanter Weise beitragen: https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/70/wr/mm7021e1.htm
Eine wie von Grill verlangte Studie mit großer Fallzahl gibt es auch für die Fensterlüftung nicht, dennoch sagt z.B. das Umweltbundesamt: „Neben der Einhaltung der Hygieneregeln („AHA“) bleibt daher die regelmäßige Lüftung über die Fenster die wichtigste Maßnahme zur Reduzierung der Virenmengen in der Luft“. Luftreiniger sind in der Regel effizienter als die Fensterlüftung, weil sie kontinuierlich arbeiten und unabhängig von der Anzahl und Größe der Fenster, die geöffnet werden können und unabhängig von den physikalischen Umgebungsbedingungen ein frei wählbares Luftvolumen pro Stunde von Viren befreien.
„Was es gibt, sind Untersuchungen, die zeigen, dass diese Geräte Luft einsaugen und gut filtern können. Schön. Aber das Ziel ist ja nicht, partikelbehaftete Viren abzusaugen, sondern Infektionen zu verhindern.“
Wenn virenbehaftete Partikel aus der Luft herausgefiltert werden, sind sie auch nicht mehr in der Raumluft vorhanden und können daher von den Personen im Raum auch nicht mehr eingeatmet werden. Auch die Fensterlüftung beruht auf dem Prinzip, dass die Viren aus dem Raum geführt werden, denn je weniger Viren im Raum sind, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit von indirekten Infektionen in einer bestimmten Zeiteinheit. Die Richtigkeit dieser Folgerungen ergibt sich bereits aus der Logik der Sache.
Aus diesem Grund werden Raumluftreiniger auch als bewährte Technik im Gesundheitswesen seit vielen Jahren eingesetzt, beispielsweise in Krankenhäusern, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Die Effektivität von Luftfiltern werden ebenso wenig wie z.B. auch der Gebrauch von sicheren Masken zum Infektionsschutz von ernstzunehmenden Experten in Frage gestellt. Das Gleiche gilt aus der Logik der Sache heraus auch für die vom Robert-Koch-Institut oder dem CDC empfohlenen Abstandsregeln oder Hygienemaßnahmen wie dem Händewaschen.
Gar mehr Schaden als Nutzen bei Luftfiltern?
„Die Abwägung, ob ein Hilfsmittel unterm Strich mehr nützt als schadet, kennt man von Medikamenten. Es gibt Tabletten, die können beispielsweise zu hohe Cholesterinwerte senken. Doch wenn sie gleichzeitig zu mehr Herzinfarkten oder Schlaganfällen führen, werden sie aus gutem Grund nicht zugelassen.“
Der Vergleich hinkt und Grill bleibt die konkrete Benennung von Schäden weitgehend schuldig. Welche Nachteile sollte ein Luftfilter aber haben? In der S3-Leitlinie „Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen“ liest man dazu:
„Nutzen:
Wahrscheinlich positive Wirkung auf den Infektionsschutz.
Schaden:
Hohe Kosten bei Anschaffung, Unterhalt, Wartung und Entsorgung.
Machbarkeitsprobleme, insbesondere hinsichtlich fachgerechter Installation und Wartung.
Beeinträchtigung von Lehrqualität und Bildungserfolg sowie Gesundheit durch Lärm.
Ökologisch: hoher Ressourcenverbrauch“
Das Problem „Lärm“ lässt sich durch die Auswahl von leistungsfähigen und leisen Geräten, die auf dem Markt verfügbar sind, minimieren. Geht es also nur um die Kosten, die durch Anschaffung und Wartung entstehen? Das kritischste Bauteil in hochwertigen Luftfiltern ist der Lüfter, der bei einem Dauerbetrieb von 24 Stunden pro Tag auf eine Lebensdauer von mindestens 5 Jahren ausgelegt ist. Hochwertige Geräte werden im Schulalltag somit viele Jahre laufen und dabei auch andere Viren (Influenzaviren, RSV, Noroviren etc.) und Allergene aus der Klassenraumluft filtern. Die Stromkosten belaufen sich auf ca. 30 Cent pro Tag und alle 1-3 Jahre muss der HEPA-Filter gewechselt werden. Diese Angaben sollte man beachten, wenn Kosten und Nutzen bewertet werden.
„Außerdem sei nicht klar, ob die Luftfilter die virenbeladene Luft im Raum verteilen, bevor sie durch das Gerät gezogen wird. Dann könnten sie sogar kontraproduktiv sein.“
Die Verteilung der virenbeladenen Luft findet auch ohne den Luftfilter statt und selbst die Fensterlüftung oder raumlufttechnische Anlagen können das nicht verhindern. Durch die Körper¬wärme der anwesenden Personen findet eine ständige Konvektionsströmung statt und durch die Bewegung der Personen eine Verwirbelung, wodurch die virenhaltigen Aerosole permanent verteilt werden. Sofern die Konzentration virenhaltiger Aerosole durch Luftreinigung gering gehalten werden kann, stellt die Tatsache einer Aerosolverteilung grundsätzlich kein Problem dar. Es ist sogar vorteilhaft die Viren zu verteilen, da dann eine lokal hohe Virenlast in der Umgebung der infizierten Person reduziert wird und somit die Infektionswahrscheinlichkeit sinkt. Wichtig ist, dass die Virenlast in dem Raum dauerhaft auf einem niedrigen Niveau bleibt und gerade dafür sind die Luftfilter konzipiert. Wer diese Tatsachen kritisiert, hat den Kern des indirekten Infektionsschutzes nicht verstanden.
Was ist mit den Einwänden des Umweltbundesamts?
„Fragt man das Umweltbundesamt, was es von den Luftfiltern in jedem Klassenzimmer hält, fällt die Antwort eindeutig aus: gar nichts. Luftfilter seien allenfalls sinnvoll für Räume, die man nicht richtig lüften könne.“
Diese Aussage ist bereits in sich irreführend, weil sie den Eindruck erweckt, als halte das Umweltbundesamt (UBA) grundsätzlich die Wirksamkeit von Raumluftreinigern für zweifelhaft. Jedoch schreibt das UBA selbst auf seiner Webseite: „Dort, wo nicht ausreichend gelüftet werden kann, helfen kontinuierlich betriebene, einfache Zu- und Abluftanlagen oder mobile Luftreiniger, die Virenlast im Raum ebenfalls in einer Größenordnung von bis zu 90 Prozent zu reduzieren.“
https://www.umweltbundesamt.de/themen/lueftung-lueftungsanlagen-mobile-luftreiniger-an
Noch klarer ist die Aussage von Prof. Dr. Heinz-Jörn Moriske als Geschäftsführer der Kommission Innenraumlufthygiene des Umweltbundesamtes in einem Interview mit dem Handelsblatt vom 7. Juli: „Natürlich helfen mobile Luftfilter gegen Viren – wenn es sich um geprüfte Geräte handelt und sie richtig im Klassenraum aufgestellt sind.“
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/hygienekonzept-umweltbundesamt-empfiehlt-mobile-luftfilter-fuer-schulen-mit-einschraenkungen/27398662.html
Strittig ist also keineswegs die grundsätzliche Wirksamkeit von Raumluftreinigern, die das UBA ebenfalls einräumt. Vielmehr geht es nur um die Frage, ob die bloße Fensterlüftung in Deutschland ganzjährig, wie vom UBA behauptet, im Großteil der Klassenräume ausreicht und so zusätzliche Raumluftreinigung überflüssig macht oder nicht.
Die derzeitige Argumentation des UBA beißt sich dabei nicht nur mit aktuellen Aussagen eines Großteils der Experten, sondern ist auch für sich betrachtet widersprüchlich. Denn das UBA selbst hatte in Stellungnahmen der Jahre 2008 und 2017 noch gegenteilige Ansichten vertreten – hier ein Zitat aus den „Kernbotschaften“ eines vier Jahre alten UBA-Papiers: „Eine Lüftung über Fenster allein reicht zum Erreichen einer guten Innenraumluftqualität während des Unterrichts in Schulgebäuden nicht aus. Eine Konzeption bestehend aus Grundlüftung über mechanische Lüftungsanlagen und Zusatzlüftungsmöglichkeit über Fenster in den Pausen (hybride Lüftung) wird vom AK Lüftung dringend empfohlen.“ Zu „mechanischen Lüftungsanlagen“ sind auch mobile Raumluftreiniger zu zählen.
Fehlt Prof. Kählers Forschungsergebnissen wissenschaftliche Anerkennung?
„Doch keine seiner Luftfilterstudien ist in einem wissenschaftlichen Journal publiziert. Das ist wichtig, denn andere Experten könnten Kählers Ergebnisse erst dann auf ihre Stichhaltigkeit hin prüfen.“
Prof. Kähler hat seine Forschungsergebnisse bereits im Rahmen von mehreren eingeladenen Vorträgen auf internationalen Konferenzen dem Fachpublikum präsentiert und in Seminarvorträgen die Ergebnisse zur Diskussion gestellt. Die Qualitätssicherung seiner aktuellen Forschungsergebnisse ist somit durchaus gewährleistet.
Außerdem sind die zur Diskussion stehenden Paper von Prof. Kähler öffentlich auf der Homepage seines Instituts einsehbar. Dass diese Studien bereits mehrfach zitiert wurden, zeigt ganz offen¬sichtlich, dass sie Anerkennung genießen. Außerdem gibt es weitere Untersuchungen anderer Autoren, welche die Wirksamkeit der Luftfiltergeräte und die Forschungsergebnisse von Prof. Kähler ebenfalls bestätigen.
Aus diesem Grund haben maßgebliche Experten zum Thema im Juli das DFG-Positionspapier „Coronavirus-Pandemie: Wie lassen sich Infektionen durch Aerosole verhindern?“ gemeinsam veröffentlicht, das sich ebenfalls für den Einsatz von mobilen Raumluftreinigern in Klassenräumen ausspricht: https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/corona_infos/positionspapier_aerosole.pdf
Dieses Positionspapier steht auch im Einklang mit Stellungnahmen von Fachgesellschaften wie der Gesellschaft für Aerosolforschung, der Deutschen Physikalischen Gesellschaft oder auch der angesehenen Gesundheitsbehörde der USA, dem CDC, die alle den Einsatz von stationären und mobilen Luftfiltern in Klassenzimmern befürworten.
Steht Prof. Kähler Luftfilter-Geräteherstellern finanziell nahe?
„Nicht alle wissen dabei, von wem Kähler finanziert wird. Für ungefähr zehn Firmen habe er bezahlte Untersuchungen durchgeführt, räumt er ein.“
Zum allgemeinen Hintergrund der Drittmittelfinanzierung von wissenschaftlicher Forschung und den dafür geltenden Regeln der DFG verweisen wir auf die Stellungnahme des Pressesprechers Michael Brauns der Münchner Bundeswehruniversität zum SZ-Artikel vom 14.10.; sie wurde auch wieder¬gegeben in unserer eingangs erwähnten Pressemitteilung, die wir unter der Headline „Es gibt Forschungsaufträge, aber keine Auftragsergebnisse“ als zusammenfassendes Zitat von Brauns veröffentlicht haben.
Wie in dieser Pressemitteilung bereits festgestellt, ist die obige Behauptung von Grill falsch. Wenn ca. zehn Geräte für Testzwecke von Firmen zur Verfügung gestellt werden, kann man nicht dem die Untersuchungen durchführenden Wissenschaftler unterstellen, er habe „für ungefähr zehn Firmen […] bezahlte Untersuchungen durchgeführt“.
„Auf den Webseiten der Luftfilterhersteller findet man kurze Filmchen, in denen Kähler für die Geräte wirbt, seine bezahlten Untersuchungen sind dort auch zu finden.“
In keinem der „Filmchen“ bewirbt bzw. erwähnt Prof. Kähler den Namen einer bestimmten Firma, sondern spricht ausschließlich über seine Untersuchungen und die Wirksamkeit von Luftfiltern und die von ihm entwickelten Plexiglastrennscheiben mit Umlaufkante. Er betreibt also keineswegs, wie hier unterstellt wird, Werbung für bestimmte Geräte- oder Trennscheibenhersteller.
Prof. Kähler empfiehlt stets Leistungsmerkmale, die erfüllt werden sollten. Diesen Leistungskriterien entsprechen nicht nur einzelne, sondern durchaus viele Hersteller.
Wir fordern eine Aussprache über Markus Grills umstrittenen Kommentar
Die Initiative #ProtectTheKids stellt sich deutlich gegen die mediale Diskreditierung von Wissenschaftlern, die sich für Infektionsschutz an Schulen einsetzen. Der Kommentar von Markus Grill ist hierfür leider ein Beispiel. Dazu sind auch Grills sachliche Einwände gegen Luftfilter nicht stichhaltig. Deshalb erwarten wir vom Deutschlandfunk ein klärendes Gespräch über die von Grill erhobenen Vorwürfe. Angesichts des derzeitigen kritischen Verlaufs der vierten Welle in den Schulen und Kitas erscheint es uns als ein Ärgernis ersten Ranges, dass Markus Grill über seine Veröffentlichtungen in der Süddeutschen Zeitung und im Deutschlandfunk Luftfilter als wirkungsvolle Pandemieschutzmaßnahme öffentlich schlechtzureden versucht.
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